Als engster Vertrauter von Kanzler Gerhard Schröder war Frank-Walter Steinmeier nah dran an NordStream. Seine Bemerkungen zur Zukunft des Pipeline-Projekts und zu den deutsch-russischen Beziehungen haben in der Ukraine einen sehr wunden Punkt getroffen, meint Klaus Remme. Steinmeier ist gestolpert.
Ein Kommentar von Klaus Remme
9. Februar 2021
Frank Walter Steinmeier gilt als besonnener Mann. Als Außenminister war er über viele Amtsjahre trittsicher auf diplomatischem Parkett. Geübt, auch in schwierigen Lagen den richtigen Ton zu finden. Und nach vier Jahren als Bundespräsident auch erfahren darin, die Grenze zwischen Tagespolitik und grundsätzlicher Richtschnur zu erkennen und zu achten.
Seine Antwort auf die Frage zur Zukunft von NordStream 2 wirft zu allen eben genannten Qualitäten Fragen auf, denn Steinmeiers Worte waren als Teil eines ausführlichen Interviews mit der Rheinischen Post alles andere als spontan. Die „Energiebeziehungen als fast letzte Brücke zwischen Russland und Europa“? Als Mittel, um auf die Zustände in Russland Einfluss zu nehmen? Wirklich? NordStream 2 scheint wohl doch, anders als jahrelang von Regierungsseite behauptet, ein eminent politisches Projekt zu sein.
Mehr als Stirnrunzeln in Kiew
Die Flüssiggas-Terminals, die SPD-Vizekanzler Olaf Scholz der Trump-Administration für die Aufhebung von US-Sanktionen angeboten hat, passen da gut ins Bild. Frank-Walter Steinmeier ist hier mitten drin in der Tagespolitik. An NordStream 2 scheiden sich momentan tagtäglich die Geister.
Als engster Vertrauter von Kanzler Gerhard Schröder, der inzwischen russische Erdgasinteressen vertritt, und als Außenminister an der Seite von Bundeskanzlerin Merkel war Steinmeier nah dran an NordStream 1 und 2. Das ist nicht vergessen. Seine aktuelle Begründung für den Stellenwert der deutsch-russischen Beziehungen aber sorgt erst recht für Stirnrunzeln. Der Bundespräsident verwies auf eine historische Dimension, auf mehr als 20 Millionen Kriegstote nach dem deutschen Überfall in der damaligen Sowjetunion. Dieses „größere Bild“ dürfe man nicht aus den Augen verlieren.
Das hat in der Ukraine einen ausgesprochen wunden Punkt getroffen. Kiews Botschafter in Berlin wirft Steinmeier Zynismus und Geschichtsverdrehung vor. Das sind tiefe Kratzer im diplomatischen Parkett.
Erstaunlicher Stolperer des Bundespräsidenten
Energie, das ist in den Augen Kiews DIE politische Waffe Moskaus. Ausgerechnet in diesem Zusammenhang eine Verbindung von historischer Schuld und aktuellen Erfordernissen deutscher Politik herzustellen, muss vonseiten der Ukraine den Vorwurf nach sich ziehen, die Millionen sowjetischer Opfer allein Russland zuzuschreiben. Genauso ist es geschehen.
Erstaunlich, dass ausgerechnet Frank Walter Steinmeier hier gestolpert ist. Natürlich weiß er es besser. Wie kein anderes Land ist die Ukraine mit der zweiten Amtszeit Steinmeiers als Außenminister verbunden. Als Bundespräsident hat er zusammen mit dem Historiker Karl Schlögel die Ukraine besucht, auch um das Land und seine Geschichte auf der mentalen Karte der Deutschen stärker zu verorten, denn dieses „größere Bild“ dürfen wir nicht aus den Augen verlieren.
Quelle: Deutschlandfunk