Große Lust auf Europa
Von Malte Glotz Erschienen am 14.06.2019 um 18:30 Uhr
Botschaftsbesuch hat Wetzlar nicht alle Tage. Hans-Jürgen Irmer hat jetzt den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk empfangen. Und der erhofft einiges von der Region an Lahn und Dill.
WETZLAR - "Goethe gehört komischerweise zu den Autoren, die mein Sohn mag", sagt Andrij Melnyk. Der Sohn des ukrainischen Botschafters in der Bundesrepublik schreibt gerade Abitur. Dass sein Vater gerade jetzt jene Stadt bereist, die eng mit Goethes literarischem Aufstieg verbunden ist, bleibt wohl Zufall.
Ein Zufall aber, hinter dem der CDU-Bundestagsabgeordnete Hans-Jürgen Irmer steckt. "Ich habe Herrn Melnyk bei meinen Botschafter-Gesprächen kennengelernt", sagt Irmer. Noch ist er dabei, sich im politischen Berlin einzuleben. Botschafter kennenzulernen, gehört dazu. Und bei manchem Treffen scheint es nicht nur inhaltlich, sondern auch menschlich zu stimmen - wie mit Andrij Melnyk. Die Einladung nach Wetzlar war schnell ausgesprochen, die ersten Sehenswürdigkeiten der Region schnell angeschaut. "Wenn ich das nächste Mal mit meiner Familie komme, weiß ich, was wir besuchen müssen", sagt Melnyk durchaus begeistert.
Dass aber hinter einem Besuch etwa bei Leica mehr steckt als touristisches Interesse, wird schnell klar: "Dort habe ich gesehen, wie viel Innovation hinter einem eigentlich einfachen Produkt wie einer Kamera steckt", sagt er, nicht ohne zu erwähnen, dass die Ukraine in Sachen IT zu den weltweit führenden Nationen gehöre. Ohnehin sieht er viel Potenzial in der Wirtschaft des Irmer-Wahlkreises. Potenzial für seine Heimat: "Was die hiesigen Unternehmen bieten, ist Industrie", sagt er.
Genau das benötige sein Land: Firmen, die Bedarf an menschlicher Arbeitskraft haben, die also Arbeitsplätze schaffen. "Und die sind günstig in meinem Land", sagt der Botschafter ganz offen. Eine ukrainische Arbeitsstunde kostet nur den Bruchteil einer deutschen. Der Ausbildungsstand der Ukrainer ist gut. Nur: Es ist Krieg. Melnyk sagt das genau so: Krieg.
Keine Rede von Konflikt oder Auseinandersetzung: Aus seiner Perspektive ist die Krim annektiert, der Osten seines Landes besetzt. Auch da hat er in Hans-Jürgen Irmer einen meinungsfesten Partner:
"Wir müssen deutlich machen, dass wir auf der Seite der Ukraine stehen", sagt er - etwa auch in Richtung von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der eine Lockerung der Sanktionen gegenüber Russland fordert. "Sie sind das einzige Mittel, das wir haben", sagt Melnyk.
Das einzige Mittel wohl neben der ukrainischen Bevölkerung.
"Es gibt kein anderes Land, in dem Menschen mit der Europaflagge vor die Tür gegangen sind, um zu sterben", erinnert er an die blutigen Auseinandersetzungen auf dem Maidan, die wegen der Annäherung an die EU entstanden waren, die zur Absetzung der Regierung und zur heutigen politischen Position der Ukraine geführt haben: als europäische Nation.
, Malte Glotz