In einem Interview mit dem Deutschlandfunk am 29. August und im NDRinfo-Podcast „Streitkräfte und Strategien“ am 30. August sprach der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev über die Ziele der Ukraine bei der Kursk-Operation, die dringenden Bedürfnisse der Ukraine und den Umgang mit den Eskalationsphobien des Westens.
Die Kernaussagen:
Die Kursk-Operation hat den Mythos der „roten Linien“ zerstört. Die Verteidigungskräfte der Ukraine haben bewiesen: Russland kann besiegt werden.
Viele im Westen, auch in Deutschland, leiden immer noch unter einer Eskalationsphobie und haben die Eskalationsphobietherapie noch nicht ganz durchlaufen.
Das Argument der Eskalation gilt jetzt nicht mehr. Denn wir haben der ganzen Welt gezeigt: Russland ist besiegbar, wenn man seine Schwächen sieht und gezielt ausnutzt.
Es ist uns gelungen, die Russen daran zu hindern, in die Regionen Sumy und Tschernihiw einzumarschieren. Wir konnten sie zurückdrängen, damit diese Gebiete nicht mehr täglich beschossen werden. Die russischen Truppen sind nicht länger an den Grenzen und damit nicht mehr in unmittelbarer Nähe der Hauptstädte dieser Regionen – eine Pufferzone wurde geschaffen.
Mit der Kursk-Operation konnten wir viele russische Soldaten gefangen nehmen, die nun gegen ukrainische Kriegsgefangene ausgetauscht werden können.
Aus einer strategischen Perspektive wäre es richtig, den Bogenschützen zu töten, anstatt nur zu versuchen, alle Pfeile abzufangen. Militärflugplätze und Flugzeuge, von denen in einer Nacht Hunderte von Raketen auf die Ukraine abgeschossen werden, Munitionsdepots, Verbindungsknotenpunkte – all das sind legitime militärische Ziele in Russland, auch im Sinne der Charta der Vereinten Nationen. Deshalb benötigen wir weitreichende Waffensysteme und die Aufhebung aller Beschränkungen.
Ein Fußballteam wird nie gewinnen, wenn den Verteidigern verboten wird, den Ball nach vorne zu spielen. Natürlich kann man Fußball nicht mit Krieg vergleichen, aber es ist leicht zu verstehen: Ansonsten reichen die Flugabwehrsysteme nicht aus, um alle russischen Raketen abzufangen. Wir werden Flugabwehrsysteme produzieren und Raketen aus Deutschland und den Vereinigten Staaten erhalten, aber die Russen haben immense Ressourcen investiert, um ihre Rüstungsindustrie auf Hochtouren zu bringen, während der Westen dies nicht getan hat.
Wir haben in den letzten Jahren mit Russland viel verhandelt. Seit Februar, nicht 2022, sondern seit Februar 2014 dauert dieser Krieg an. Dieser Krieg dauert länger als der Zweite Weltkrieg. Wir hatten hunderte Verhandlungsrunden mit den Russen – zusammen mit unseren deutschen und französischen Partnern, im sogenannten Normandieformat. Ich war Teil dieser Verhandlungen. Ich war selber im Februar 2015 in Minsk. Alle Diplomaten wissen: Mit Russland kann man nur verhandeln aus einer Position der Stärke. Diese Position der Stärke muss auf dem Schlachtfeld errungen werden.
Es gibt einen ukrainischen Friedensplan, den 10-Punkte-Plan von Präsident Selenskyj. In diesem Sommer hat ein Gipfeltreffen in der Schweiz stattgefunden, bei dem wir von 100 Staaten und internationalen Organisationen unterstützt wurden. Wir möchten so viele Länder wie möglich hinter diesem Plan versammeln, und unser Ziel war, Russland zum zweiten Friedensgipfel einzuladen. Russland zeigt jedoch kein Interesse an Verhandlungen. Russland zeigt kein Interesse an Frieden. Dieser Frieden würde sofort eintreten, wenn Russland aufhören würde, uns mit Raketen und Bomben zu beschießen und seine Truppen abzuziehen.