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Botschafter der Ukraine Dr. Andrij Melnyk in Berliner Zeitung: „Verhandlungen über die Rückgabe der Krim“
Veröffentlicht am 17 März 2021 Jahr 10:03

Der ukrainische Botschafter in Deutschland fordert einen internationalen Prozess, um die Krim wieder an die Ukraine anzugliedern

16. März 2021

Vor sieben Jahren hat Präsident Putin die ukrainische Halbinsel Krim militärisch besetzt und willkürlich an Russland angeschlossen. Als der Kremlherr die Staatsgrenzen gewaltsam verschob, war das der schwerwiegendste Völkerrechtsbruch in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Weder die Bundesregierung noch die Mehrheit der UNO-Mitglieder haben diese, wie Kanzlerin Merkel es treffend bezeichnete, verbrecherische Annexion anerkannt. Das ist ein klares Signal, das wir Ukrainer zu schätzen wissen.


Darüber hinaus hat Deutschland samt den EU-Staaten, den USA und weiteren Demokratien die Krim-Sanktionen gegen die Russische Föderation verhängt. Auch für diese wirtschaftlichen Strafmaßnahmen, die allerdings lückenhaft sind, wie die Affäre mit Siemens-Turbinen offenbarte, und erheblich verschärft werden müssen, sind wir unseren deutschen Partnern dankbar.


Nur: Es fehlt immer noch das wichtigste Element, nämlich ein internationaler Verhandlungsprozess über die Rückgabe der Krim an die Ukraine. Klar, im Moment will Putin davon gar nichts wissen. Der überforderte Westen dagegen ist nicht bereit, ihn endlich in die Schranken zu weisen und dazu mit allen zur Verfügung stehenden legitimen Mitteln zu zwingen, die Krim zu befreien.


Vom einstigen Urlaubsparadies zum Militärstützpunkt

Diesen Status quo nutzt Moskau zynisch aus, um seine Okkupation Tag und Nacht zu zementieren, die Halbinsel vom einstigen Urlaubsparadies zum Militärstützpunkt zu machen und modernste Raketensysteme zu installieren, über eine halbe Million Russen auf die Krim zu übersiedeln und gleichzeitig 500.000 Ukrainer (ein Viertel der Bevölkerung) und 270.000 Krimtataren (14 Prozent) auf brutalste Weise zu verfolgen.

Daher besteht ein dringender Handlungsbedarf seitens der internationalen Gemeinschaft, um eine heranrückende Katastrophe doch noch zu verhindern. Denn eins ist klar: Es wird keine Versöhnung zwischen Kiew und Moskau und auch keinen Frieden in Europa geben, solange die russische Besatzung der Krim nicht beendet ist.

Gerade Deutschland kann und muss eine entscheidende Rolle spielen, um die Krim-Annexion zu stoppen. Diese Verpflichtung ergibt sich nicht nur aus der Tatsache, dass die internationale Ordnung und somit auch die territoriale Integrität der Ukraine wiederhergestellt werden und dass das Völkerrecht die Oberhand wiedergewinnen muss.

Bundesrepublik hat historische Verantwortung

Die moralische Pflicht der Bundesrepublik, der rechtswidrigen Krim-Okkupation ein Ende zu setzen, rührt in erster Linie auch von der immerwährenden historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber der Ukraine für die NS-Gewaltherrschaft mit über acht Millionen ukrainischen Kriegsopfern her.

Ausgerechnet die Krim spielte in dieser vorbelasteten kolonialistischen Geschichte eine tragische Rolle, doch dessen ist man sich in der deutschen Öffentlichkeit heute kaum noch bewusst. Zweimal hat Deutschland im letzten Jahrhundert die Krim militärisch besetzt. Die erste deutsche Eroberung der Halbinsel vollzog sich im Laufe der „Operation Faustschlag“ gleich nach der Unterzeichnung des ersten Friedensvertrages im Ersten Weltkrieg zwischen der Ukrainischen Volksrepublik und den Mittelmächten in Brest-Litowsk (9. Februar 1918), ihre Besatzung dauerte bis zum Kriegende an.

Schon damals stand im Mittelpunkt des Umgangs mit dem Süden der Ukraine, wo übrigens über 200.000 deutsche Siedler lebten, der reine deutsche Kolonialismus. Weil der völkerrechtliche Status der okkupierten Krim verschwommen blieb, hat man in Berlin mit dem Gedanken gespielt, einen eigenen Staat der deutschen Kolonisten zu errichten.

Ungeheure Nazi-Verbrechen in der Ukraine

Auch wenn dieses abenteuerliche Projekt aufgegeben werden musste, hat das Kaiserreich alle Versuche torpediert, damit sich der Ukrainische Staat als sein Verbündeter mit der Krim – als seinem autonomen Gebiet oder auf föderativer Basis – vereinigen könnte.

Das Scheitern dieser widersprüchlichen Krim-Politik Deutschlands 1918 hatte fatale Folgen für die Unabhängigkeit der Ukraine und für die Krim, die vom aggressiven bolschewistischen Russland in den nächsten Jahren zerschlagen wurden. Die zweite deutsche Besatzungsherrschaft auf der Krim, die im Oktober 1941 begonnen und nach der neunmonatigen Belagerung von Sewastopol am 5. Juli 1942 abgeschlossen wurde, dauerte zweieinhalb Jahre und brachte ungeheure Nazi-Verbrechen über das Land.

Diesmal sah die deutsche Krim-Strategie viel „ambitionierter“ aus: Hier sollte das neue Reich der Goten entstehen. „Ich werde die Krim leeren, um Platz für unsere eigenen Siedler zu machen“, so lautete der perfide Plan von Hitler, der die Halbinsel vollständig germanisieren und als „Gotengau“ mit Gotenburg (Simferopol) und Theoderichhafen (Sewastopol) zum Bestandteil des großgermanischen deutschen Reiches erklären wollte.

Sogar eine vierspurige Reichsautobahn sollte die Anbindung ans Reich sicherstellen und die Reisezeit auf zwei Tage verkürzen, damit die Krim zur „deutschen Riviera“ für den NS-Massentourismus würde. Der Preis dafür: Alle 1,1 Millionen Krim-Einwohner sollten ermordet oder vertrieben werden. Zwar wurden diese Wahnsinnsvorstellungen nur teilweise realisiert, aber die Nazi-Schergen haben auf der Krim besonders brutal gewütet.

Die Menschenrechtslage auf der besetzten Krim bleibt katastrophal

Die deutschen Besatzer haben einen gnadenlosen Vernichtungsfeldzug gegen die Bevölkerung durchgeführt, im Laufe dessen Hunderttausende Zivilisten ermordet wurden, einschließlich aller 38.000 Krim-Juden. Obwohl der Gotenplan im heutigen Deutschland schon lange in Vergessenheit geraten ist, hat die Nazi-Gewaltherrschaft auf der Krim ein äußerst blutiges Erbe hinterlassen. Diese vergessenen Gräueltaten müssen noch aufgearbeitet werden.

Vor allem für die Krimtataren wurde die NS-Besatzung zum Verhängnis: Gleich nach der Vertreibung der Deutschen durch die Rote Armee wurden am 18. Mai 1944 etwa 200.000 Personen von Stalin unter dem pauschalen Vorwurf der Kollaboration nach Zentralasien in Viehwaggons deportiert. Zehntausende starben noch auf dem Weg in die Verbannung.

Erst nach der Wende, als die Ukraine ihre Unabhängigkeit 1991 wiedererlangt hatte, hat Kiew das vertriebene Volk der Krimtataren in seine Heimat auf die Krim zurückgeholt. Und gerade sie sind heute seit der neuen – russischen – siebenjährigen Besatzung massivster Unterdrückung ausgesetzt, die die Schrecken der NS- und sowjetischen Vergangenheit in Erinnerung ruft.

Die Krim ist ein Lackmustest für die Deutschen

Die Menschenrechtslage auf der besetzten Krim bleibt katastrophal – viel gravierender als in Russland selbst –, und sie wird mit jedem Tag schlimmer. Die Weltgemeinschaft kann nicht mehr lange zusehen, wie die Menschen leiden. Gerade angesichts seiner kolonialen Vergangenheit in puncto Krim kommt ausgerechnet Deutschland eine Vorreiterrolle zu, um der heutigen Barbarei Putins ein Ende zu setzen und die Halbinsel aus seinen Krallen zu befreien.

Seiner historischen Verantwortung gegenüber der Ukraine kann Deutschland gerecht werden – nicht nur, indem man Millionen ukrainischen Opfer der NS-Terrorherrschaft gedenkt, sondern vor allem dadurch, wenn man heute mit Mut und Entschlossenheit handelt, um eine neue Tragödie zu verhindern.

Die Bundesrepublik und ihre Verbündeten verfügen über viele politische und wirtschaftliche Instrumente, die eingesetzt werden können – und müssen –, um Russland zu zwingen, die Krim-Annexion rückgängig zu machen und sein aggressives Verhalten zu stoppen.

Gerade jetzt eröffnet sich für Deutschland eine historische Chance, im Schulterschluss mit der neuen amerikanischen Regierung den Kremlherrn mit neuer transatlantischer Härte zu konfrontieren. Die Krim ist ein Lackmustest, ob die Deutschen wirklich bereit sind, mehr Verantwortung auf der Weltbühne zu übernehmen und für das Völkerrecht zu kämpfen.

Der Autor ist Botschafter der Ukraine in Deutschland.

Quelle: "Berliner Zeitung" 

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