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"Leben Sie wohl, Herr Botschafter", - Interview des Botschafters der Ukraine Dr. Andrij Melnyk dem BehördenSpiegel
Veröffentlicht am 08 September 2022 Jahr 14:44

Als Andrij Melnyk in der Ukraine Abitur macht, gehört diese noch zur UdSSR und da einmal Diplomat zu werden, nicht zu seinen Möglichkeiten. Diese Karriere stand meist nur Sprösslingen von Parteibonzen offen.

Eher aufmüpfig, sein Onkel wird aus politischen Gründen zu 25 Jahren Arbeitslager in Sibirien verurteilt, ist er kein Freund der Sowjetunion und kommt daher für so etwas sowieso nicht infrage. Mit der Unabhängigkeit seines Landes 1991 dann aber doch. 1992 schreibt er sich an der juristischen Fakultät der Universität in Lwiw (Lemberg) ein, tritt 1997 seinen diplomatischen Dienst im Außenministerium in Kyjiw an, wird nach Stationen in Wien Generalkonsul in Hamburg und im Januar 2015 Botschafter in Berlin. Man hört es. Heute, nach über zehn Jahren als Diplomat in Deutschland (und drei in Österreich), ist Deutsch seine zweite Muttersprache. Er versteht Bürokraten, Ministeriale, den “kleinen Mann auf der Straße”, ihre Begrifflichkeiten auf Normal- und Facebook-Niveau, benutzt Fremdworte richtig, redet häufig „Tacheles“ und ist, frei nach Winston Churchill, „ein Mann, der zweimal nachdenkt, bevor er nichts sagt”.

Und wenn, dann spricht er klar, in ganzen Sätzen und, wo andere leise und “diplomatisch” auftreten, gibt er sich entschlossen, was den Politbetrieb hierzulande mächtig störte. Manchmal wird er auch laut, um sich verständlich zu machen. Sein unorthodoxer Modus Operandi macht ihn bald nach Kriegsbeginn in seiner Heimat am 24. Februar in den Medien sehr bekannt.


Mehr als “nur” Worte

Als Andrij Melnyk (47 Jahre), Ende März dieses Jahres etwa die deutsche Regierung ob ihres Festhaltens an der Pipeline Nord Stream 2 öffentlich und sehr undiplomatisch rügt und dabei kein Blatt vor den Mund nimmt, ist man dort “not amused”. Dass Bundespräsident Steinmeier Anfang April zurückrudert und das Beharren auf der Gasleitung als “eindeutigen Fehler” bezeichnet, freut ihn nur bedingt. Er will mehr als “nur” Worte. Mehr darf es seiner Ansicht nach auch bei den EU-Sanktionen gegenüber Russland sein, um den Kreml nachhaltig zu treffen. “Die eingeführten EU-Strafmaßnahmen”, so Botschafter Melnyk, “sind von zentraler Bedeutung, um Putin in die Schranken zu weisen, und wir hoffen, dass sie mit jedem Tag verschärft werden. Nur: Sie entfalten ihre volle Wirkung ja erst mittel- bis langfristig.” Daher seien manche Aufrufe hierzulande, die Sanktionen sollten, zurückgenommen werden, weil sie angeblich die Deutschen mehr als die Russen träfen, absolut kontraproduktiv. Auch was ihren Umfang betrifft, gibt es seiner Ansicht noch sehr viel Luft nach oben – milde ausgedrückt. Die EU-Sanktionen sollten dringend ausgeweitet werden. Der komplette Stopp von Gasimporten müsse unverzüglich kommen, zumindest in Form eines Moratoriums für drei Monate. Auch alle anderen Schlupflöcher sollten rasch gestopft werden, z. B. im Finanzsektor. Dort wären alle russischen Banken vom Swift-Zahlungssystem auszuschließen. Die Berliner Ampel-Regierung solle hier eine Führungsrolle spielen, meint Melnyk.

Mit solch konkreten politischen Forderungen an die Regierung seines Gastlandes überschritt der ukrainische Botschafter die roten Linien der Diplomatie. Er wurde innenpolitischer Akteur. Das verzeiht ihm das politische Berlin nicht, auch wenn es nicht wenige Stimmen gibt, die sagen: Der Botschafter befindet sich im Krieg und verteidigt sein Land an seiner Stelle.

Klare Forderungen

Leider hat die bisherige Appeasement-Politik schon seit der völkerrechtswidrigen Besetzung der Krim (2014) Russlands Präsident Wladimir Putin eher ermutigt, seine verdeckte perfide Okkupation nicht nur schrittweise fortzusetzen, sondern einen groß angelegten Vernichtungskrieg gegen das ukrainische Volk vom Zaun zu brechen. “Leider wurde in Berlin gar nichts unternommen, um mit Abschreckung diese eminente Kriegsgefahr zu bannen. Hätte die Bundesregierung – im Einklang mit anderen Partnern – uns gleich seit 2014 moderne schwere Waffen geliefert und hätte Deutschland Stream 2 auf Eis gelegt – dann, sind sich die Ukrainer sicher, hätte Putin es nicht gewagt, meine Heimat auf diese arglistige Weise anzugreifen, um sie von der politischen Karte zu tilgen”, so Melnyk. Putins Propaganda-Apparat versuche auch in Ländern wie Deutschland die liberale Demokratie zu schwächen: durch die Beeinflussung der öffentlichen Debatte. Wie auch immer, der Kremlchef hat den Angriffskrieg gewagt. Wer wagt, gewinnt! Und wenn nicht? Was, wenn es ein Pyrrhussieg wird? Was, wenn auch dieser Krieg nur diplomatisch “gewonnen” werden kann und Moskau das nicht glauben mag?

Zu Verhandlungen zwingen

“Jeder Krieg”, so Andrij Melnyk, “endet am Verhandlungstisch. Die Ukrainer wollen Frieden, weil dieser Vernichtungskrieg Russlands auf unserem Boden tobt, weil jeden Tag Zivilisten ermordet werden, weil unsere Städte und Dörfer zerbombt, Schulen, Krankenhäuser, Museen beschossen, die gesamte Infrastruktur plattgemacht wird. Nur: Es wäre ein falscher Weg, Putin gleich Zugeständnisse anzubieten, in der Hoffnung, dass er sich zufriedengeben würde. Auch in Deutschland mehren sich solche Stimmen. Dieses naive Herangehen ist absolut utopisch. Das Einzige, was Putin zum Verhandlungstisch zwingen wird, ist, wenn er erkennt, dass seine Horden militärisch nichts mehr erreichen und ihre ohnehin massiven Verluste ein weiteres Vorrücken unmöglich machen. Daher ist es entscheidend, dass die Bundesrepublik uns schnellstmöglich moderne schwere Waffensysteme liefert.”

Immer wieder diese Forderung. In Deutschland ist man vorsichtig. Man will nicht Kriegspartei werden. Die USA liefern jetzt schon Waffen mit Reichweite nach Russland, doch die Amerikaner sind tausende Kilometer weg von der Front, Berlin ist nur zwei Flugstunden entfernt.

Ohne Furcht und Tadel

Jetzt geht dieser Botschafter und Lobbyist in eigener Sache, ohne Furcht vor Tadel, gelegentlich fehlbar, im Oktober zurück nach Kyjiw. Siebeneinhalb Jahre war er sehr gerne der streitbare ukrainische Frontmann in Deutschland, das ihn und seine Familie sehr stark geprägt hat und “für immer in unseren Herzen bleibt”. Obwohl nicht Everybody‘s Darling der Diplomatie, für ihn war der Job an der Spree der schönste seiner Laufbahn, “besser noch als Papst”, sagt er. “Wenn auch gleichzeitig wohl der schwierigste. Ich danke Gott für diese einmalige Chance und meinem Präsidenten Wolodymyr Selenskyj für sein uneingeschränktes Vertrauen und seine volle Unterstützung. Nur mit seiner Rückendeckung – auch für mein angriffslustiges Auftreten – konnte unser diplomatisches Team in Berlin, vor allem seit dem Kriegsausbruch, sehr viel erreichen. Es geht nicht nur um schwere Waffen, die zwar immer noch zu langsam, aber doch ankommen, oder um die EU-Sanktionen. Das Wichtigste ist, dass wir die Herzen der Deutschen gewinnen konnten.

Deutschland ist ein wunderbares Land, das ich lieben gelernt habe. Ich kann behaupten, dass ich die Bundesrepublik, durch die ich kreuz und quer gereist bin, sogar besser kenne als die Ukraine. Aber vor allem haben mich die Menschen hier fasziniert. Diese enge Verbundenheit mit Deutschland wird mir für immer bleiben.”

Offene Zukunft

Was auf mich beruflich zukommt, steht noch völlig in den Sternen. Es gibt ein Angebot meines Außenministers, wofür ich sehr dankbar bin. Aber natürlich kann ich mir gut vorstellen, auch außerhalb des diplomatischen Dienstes zu arbeiten und neue Wege zu gehen. Hauptsache ist, dass der künftige Job Spaß macht und dass ich meiner Heimat und meinen Landsleuten weiter dienen darf.”

Ein Beigeschmack bleibt, denn wohl offensichtlich hat im Zusammenhang mit der Reise des Bundeskanzlers nach Kyjiw die deutsche Seite klargemacht, dass sie einen Botschafter als Diplomaten akzeptiere, aber keinen Diplomaten als innenpolitischen Akteur.

Letzte Frage – machen sich die Melnyks keine Sorgen, dass ihnen, wenn sie wieder zu Hause sind, durch den Krieg dort was „passiert“? Natürlich machen wir uns, wie jede andere ukrainische Familie, große Sorgen, weil der russische Vernichtungskrieg allgegenwärtig ist und keiner sich irgendwo sicher fühlen kann, auch nicht in Kyjiw. Auch der Schulunterricht für meine beiden Kinder ist ein wichtiger Faktor, den es zu bedenken gibt. Wir werden daher im Familienkreis noch einiges beraten müssen.”


Von Peter Slama für BehördenSpiegel, September 2022 

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