Die Begrüßung ist freundlich, aber der Blick von Ukraines Präsident Petro Poroschenko wird schon nach wenigen Sekunden wieder ernst.
Als wir über unsere Treffen in diesem Jahr reden, fragt er: „Hätten Sie gedacht, dass all das passieren würde? Ich nicht!“
Wir sitzen am Samstagabend im Hotel „Kempinski“ in Bratislava zusammen, wo er am nächsten Tag zum Gedenken an die „Samtene Revolution“ in der Slowakei auch den deutschen Staatspräsidenten Joachim Gauck (74) trifft.
BILD: Wie gefährlich ist die Lage in der Ostukraine?
Petro Poroschenko: „Die Ukraine ist derzeit der gefährlichste Platz der Welt, auch gefährlicher als die ISIS-Bedrohung und alles, was im Nahen Osten passiert. In meinem Land sind tausende russische Soldaten, hunderte Panzer, schwere Artillerie. Es ist eine der größten Armeen der Welt, die uns und ganz Europa bedroht. Wir wollen keinen Krieg, wir wollen den Frieden und kämpfen für europäische Werte. Aber Russland hält sich an keine Absprachen.“
Poroschenko: „Das müssen Sie Putin selbst fragen! Ich kann nur sagen, dass die Ukraine für den Friedensvertrag alles umgesetzt hat, was wir angekündigt haben, wir sind bereit für Kompromisse und glauben, dass der Konflikt nicht militärisch gelöst werden kann. Russland dagegen verspricht etwas und tut am nächsten Tag genau das Gegenteil. Unabhängige Organisationen wie die OSCE haben die Präsenz von russischen Truppen in der Ukraine bestätigt und wir sehen auch jetzt beim G20-Gipfel, dass die ganze Welt endlich verstanden hat, was Russland treibt. Russland ist komplett isoliert worden. Wir müssen jetzt eine Linie finden, damit Russland die Truppen abzieht und die Grenze dicht macht. Dann wäre der Konflikt innerhalb von wenigen Tagen gelöst.“
In einem ARD-Interview deutet Putin aber an, dass er eine militärische Niederlage der Separatisten nicht hinnehmen wird. Droht ein neuer Krieg?
Poroschenko: „Bisher hat Russland in der Öffentlichkeit immer so getan, als hätten sie nichts mit den Separatisten zu tun. Wenn Putin seinen Einfluss jetzt zugibt, dann muss er dafür auch im eigenen Land die Verantwortung übernehmen. Ich glaube nicht, dass russische Mütter verstehen, warum ihre Söhne in der Ukraine kämpfen und sterben sollen. Unsere Länder standen 300 Jahre eng zusammen, viele Familien sind gemischt, 50 Prozent unserer Soldaten im Osten sprechen russisch, aber sind genauso ukrainische Patrioten.“
Poroschenko: „Ich habe keine Angst vor einem Krieg mit russischen Truppen und wir sind auf das Szenario für diesen totalen Krieg vorbereitet. Unsere Armee ist in einem wesentlich besseren Zustand als vor noch vor fünf Monaten und wir haben die Unterstützung aus der ganzen Welt. Unsere Soldaten zeigen, dass sie unser Land vereidigen können. Wir wollen nichts mehr als Frieden, aber wir müssen uns leider derzeit auch mit den schlimmsten Szenarien befassen.“
Wie kann die EU helfen?
Poroschenko: „Uns ist vollkommen klar, dass die EU keine Soldaten in die Ukraine schicken wird. Was wir brauchen, ist technische militärische Unterstützung. Uns helfen bereits einige Länder und ich bin zuversichtlich, dass wir hier noch mehr Unterstützung bekommen.“
Wie wichtig sind neue Sanktionen gegen Russland?
Poroschenko: „Es ist wichtig, dass die Möglichkeit von neuen Sanktionen wieder auf dem Tisch liegt, die Sanktionen wirken. Wir wollen Russland nicht schaden, aber wir brauchen ein Instrument, damit die Unterstützung für die Separatisten aufhört und der Friedensvertrag umgesetzt werden kann.“
Viele Menschen in Deutschland fürchten einen dritten Weltkrieg. Können Sie diese Sorge verstehen?
Poroschenko: „Keiner will einen Krieg und die ganze Welt sollte alles tun, um dieses Szenario zu verhindern. Die Ukraine verhält sich verantwortungsbewusst, wir wollen, dass die OSCE hunderte Beobachter schickt, um die Situation im Osten genau zu protokollieren. Wichtig ist, dass die Welt weiter Solidarität zeigt und Sanktionen auch dann mitträgt, wenn sie auch für uns etwas kosten.“
Die humanitäre Lage für die Menschen im Osten wird immer dramatischer. Was können Sie tun?
Poroschenko: „Wir waren und sind bereit alles notwendige zu tun, um die Menschen im Donbass humanitär zu unterstützen. Alle unsere Versuche endeten damit, dass Terroristen diese humanitäre Hilfe verhindert haben. Die Terroristen respektieren keine Gesetze, plündern Läden und geben kein Geld an die Menschen. Die Separatisten haben keine humanitäre Hilfe von unserer Seite zugelassen. Wir zahlen weiter Elektrizität und versuchen alles, um den Menschen zu helfen.“
Gibt es eine Perspektive für den Beitritt der Ukraine zur NATO?
Poroschenko: „Es gibt eine Perspektive für den Beitritt zur EU. Selbst wenn wir nach einem NATO-Beitritt fragen würden, wäre die Nato dafür wohl noch nicht bereit. Erst wenn wir Reformen in der Ukraine umgesetzt und die Kriterien erfüllt haben, können wir die Menschen in der Ukraine fragen, ob sie einen NATO-Beitritt wollen.“
Poroschenko: „Wir haben in fünf Monaten bereits eine Menge auf den Weg gebracht, es gibt ein neues Parliament, neue Transparenz, ein Anti-Korruptionsbüro und offene Ermittlungen. Die ersten Schritte sind gemacht und wir werden zeigen, dass wir unsere Ankündigungen ernst meinen.“
Sie haben angekündigt, dass Sie als Präsident ihren Roshen-Konzern verkaufen wollen. Warum ist das bisher nicht passiert?
Poroschenko: „Wir stehen in konkreten Verhandlungen mit einer großen Investmentbank über den verkauf. Ich bin zuversichtlich, dass wir die Verträge schon bald unterschreiben können.“